Der Untergang Roms – Lehren für Führungskräfte von heute
Anpassung oder Untergang: Was Führungskräfte vom Fall Roms über Change Management und Transformation lernen können
Es mag seltsam anmuten, ausgerechnet das Ende einer antiken Hochkultur als Vorbild für modernes Management heranzuziehen. Doch bei näherer Betrachtung bietet der Untergang des weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert n. Chr. erstaunlich aktuelle Lektionen für Entscheider in Wirtschaft und Politik. Denn die Ursachen für das Scheitern des einst so erfolgreichen Imperiums ähneln in verblüffender Weise den Herausforderungen, denen sich auch viele Organisationen heute stellen müssen: Überdehnung, Anpassungsstarre, Ressourcenverschwendung, Führungsschwäche, Mangel an Innovationen und integrativer Schlagkraft. Wer aus den Fehlern der Römer lernt, kann fatale Weichenstellungen vermeiden und die Zukunftsfähigkeit seines Unternehmens sichern.
Doch zunächst zur Ausgangssituation: Auf dem Höhepunkt seiner Macht um 100 n. Chr. war das Römische Reich der unbestrittene Hegemon der antiken Welt. Es umfasste ein riesiges Territorium rund ums Mittelmeer, von Britannien bis Nordafrika, vom Atlantik bis zum Euphrat. Eine hocheffiziente Verwaltung, ein leistungsfähiges Wirtschaftssystem, überlegene Militärtechnologie und eine integrative Kultur sicherten die Herrschaft Roms über Hunderte von Völkern. Doch im dritten Jahrhundert nach Christus begannen sich die Symptome der Krise zu mehren. Ständige Machtkämpfe und Bürgerkriege lähmten die Zentralmacht. Die Kosten für Armee und Bürokratie explodierten, während Seuchen und Invasionen die Wirtschaftskraft schwächten. Immer mehr Provinzen gingen an aufständische Stämme verloren. Die Kaiser reagierten planlos, indem sie durch Münzverschlechterung die Inflation antrieben und loyale Untertanen mit erdrückenden Steuern und Zwangsdiensten drangsalierten, statt durch Reformen gegenzusteuern. Die Römer waren zu lange erfolgreich mit ihren Methoden, um noch Veränderungen für nötig zu halten. In einer sich rapide wandelnden Umwelt erwiesen sich ihre einstigen Stärken als gefährliche Schwächen.
Tatsächlich waren viele der römischen Erfolgsrezepte überholt. Das Wachstum durch Expansion stieß an seine Grenzen. Die Armee, einst hochprofessionell, litt unter schlechter Ausbildung, Korruption und Barbarisierung. Bildung und Wissenschaft, die früher Roms Vorsprung begründeten, verfielen, weil sie im Alltag der Krisenbewältigung keine Priorität mehr hatten. Die Gesellschaft spaltete sich in Arm und Reich, Stadt und Land. Religiöse Konflikte zwischen Heiden und Christen verhinderten ein gemeinsames Problembewusstsein. In den Provinzen setzten lokale Eliten ihre Interessen rücksichtslos durch. So scheiterte Kaiser Honorius im Jahr 410, als unter dem Goten Alarich der erste Barbar auf dem Thron sitzen wollte. Die Römer hatten darauf verzichtet, die Bedürfnisse ihrer Bürger und unterworfenen Völker auszubalancieren. Am Ende kämpfte jeder gegen jeden, und das einstige Weltreich zerfiel in seine Einzelteile.
Was können Führungskräfte heute daraus lernen? Zuallererst, dass kein Erfolg von Dauer ist. Auch marktbeherrschende Unternehmen oder Staaten können in Krisen geraten, wenn sich die Verhältnisse ändern. Wer sich zu sicher fühlt, verpasst den Anschluss. Wachsamkeit und Wandlungsbereitschaft, auch bei scheinbar intakten Geschäftsmodellen, ist das oberste Gebot. Dazu gehört die Fähigkeit, Trends und Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und beherzt darauf zu reagieren – und nicht durch halbherzige Maßnahmen die Probleme noch zu verschlimmern.
Zweitens demonstriert der Fall Roms die Gefahren von Überdehnung, sei es geografisch, finanziell oder organisatorisch. Mehr ist nicht immer besser. Stattdessen sollten sich Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren, mit Ressourcen haushalten und in Produktivität investieren. Bevor man expandiert, müssen die internen Strukturen stimmen. Auch beim Personal ist Qualität wichtiger als Quantität. Statt sich mit Bürokratie aufzublähen, kommt es auf Motivation, Identifikation und Innovationsgeist der Mitarbeiter an.
Apropos Innovation: Zu den verhängnisvollsten Fehlern der spätrömischen Führungsschicht zählte ihr Beharren auf überlieferten Praktiken. Selbst als Reformen überfällig waren, dominierten Traditionalismus und kurzfristiges Krisenmanagement. Dabei hätten militärische, technische und strukturelle Neuerungen durchaus Chancen geboten, wie das Oströmische Reich bewies, das noch jahrhundertelang Bestand hatte. Die Angst vor Veränderungen lähmt viele Organisationen. Dabei liegen im Umbruch die größten Potenziale, wenn man sein Geschäft mit frischen Augen betrachtet und kreativ gestaltet.
Nicht zuletzt gemahnt der Untergang Roms zur Pflege des inneren und äußeren Zusammenhalts. Nur durch gemeinsame Werte, Ziele und Spielregeln lässt sich eine so heterogene Gruppe wie die römische Gesellschaft auf Dauer integrieren. Das gilt nicht minder für die vielfältigen Stakeholder eines Unternehmens. Egoismen, Spaltungen und Machtkämpfe um Pfründen zerstören auf lange Sicht die Überlebensfähigkeit, wie viele römische Herrscher leidvoll erfahren mussten. Modernes Management bedeutet, durch Transparenz, Fairness und Sinnstiftung eine Koalition der Anspruchsgruppen zu schmieden, die gemeinsam mehr erreicht als die Summe der Einzelinteressen.
So bietet die Antike überraschend zeitlose Einsichten in Erfolgsmuster und Niedergangsszenarien von Organisationen. Denn bei allen Unterschieden in Kultur und Technologie sind die grundlegenden Probleme menschlichen Zusammenwirkens oft erstaunlich ähnlich. Wer Geschichte als Steinbruch strategischer Erfahrungen nutzt, kann viele Fallstricke und Fehldeutungen vermeiden. Allerdings ersetzt dies nie die sorgsame Analyse der konkreten Gegenwartsbedingungen. Denn so wenig wie das römische Modell eine Blaupause für mittelalterliche Königreiche bot, taugt es als Patentrezept für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Was bleibt, ist ein geschärfter Blick für die Komplexität, Fragilität und Wandlungsfähigkeit menschlicher Systeme. Wer anders als die Römer rechtzeitig aus Krisen lernt, hat gute Chancen, nicht wie sie zu enden – sondern ihre Stärken unter neuen Vorzeichen wiederzubeleben.
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Stefan Mannes ist nicht nur Geschäftsführer der Agentur kakoii Berlin, sondern auch Politologe und Historiker. Für zahlreiche Kunden und Projekte befasst er sich mit den Themen Change Management, Change Kommunikation und berät Sie gerne.
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