Wie wertebewusste Shopper den Handel neu programmieren
Trendforschung trifft Praxis
Wenn Top-Manager eine Strategiepräsentation mit Zukunftsdaten spicken, fällt fast immer derselbe Name: The Future Laboratory. Seit zwei Jahrzehnten liefert die Londoner Denkfabrik nicht nur bunte Folien, sondern belastbare Szenarien, die von LVMH bis Patagonia in Vorstandsetagen zirkulieren. Für ihren neuen Report vereinte das Team verbale Tiefeninterviews, ethnografische Tagebücher und digitale Spurenanalyse – und brachte die Theorie anschaulich auf den Boden. Besonders spannend: Fünf reale Konsument*innen öffneten ihre Einkaufswelten, darunter Stefan Mannes, der mit kakoii unter anderem auch viele NGOs, Kulturmarken und nachhaltige Unternehmen berät. „Ich war begeistert, nicht bloß Rede und Antwort zu stehen, sondern als lebendiges Beispiel für ein neues Konsument*innensegment porträtiert zu werden“, erzählt er.
Vom Krisenschock zur Werteökonomie
Explodierende Energiekosten, gestörte Lieferketten, Klimawarnungen im Stundentakt – das vergangene Halbjahrzehnt hat nicht nur Geldbeutel, sondern Haltungen erschüttert. In aktuellen Umfragen sagen vier von zehn Menschen, sie kauften heute stärker nach ethischen Maßstäben als vor fünf Jahren. Gleichzeitig misstraut eine deutliche Mehrheit Unternehmen, die Rentabilität über Verantwortung stellen. Der Preis bleibt wichtig, aber er verliert das Monopol auf Kaufentscheidungen. Marken, die weiterhin ausschließlich mit Rabattschlachten auf sich aufmerksam machen, wirken wie aus der Zeit gefallen
Die fünf Gesichter der „Value Vanguard“
Der Report porträtiert fünf archetypische Charaktere und zeigt, dass Werte kein Nischenthema für Öko-Bubbles sind, sondern quer durch Alter und Einkommen diffundieren:
Persona | Heimat | Leitmotiv | Soundbite |
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Re-Evaluator – Stefan Mannes, 48 | Berlin | Prüft Marken jährlich auf Preis, Qualität und Ethik | „Kein Logo hat einen Freifahrtschein für immer.“ |
Social Shopper – Jasmine, 21 | Swansea | Second-Hand und Social-Media-Tipps formen den Style | „Ein guter Dupe schlägt ein teures Label.“ |
Ethical Spender – Kika, 54 | New York | Einkaufen als politischer Akt | „Mein Dollar ist meine Stimme.“ |
Community-Seeker – Clarissa, 21 | London | Sucht Zugehörigkeit beim Shoppen | „Ein Laden darf sich wie ein Café anfühlen.“ |
Localist – Sara, 36 | Florenz/Lissabon | Investiert bewusst in die Nachbarschaft | „Hyperlokal ist das neue Premium.“ |
Gemeinsam bilden sie die Value Vanguard – eine wertegetriebene Avantgarde, pragmatisch und doch prinzipienfest.
Sechs Kauf-Codes der Zukunft
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Imperfekte Nachhaltigkeit
Die Vanguard erwartet Fortschritt, nicht Perfektion. Ein ehrlicher Zwischenschritt schlägt das Warten auf die makellose Lösung. -
Loyalty is Dead
Zwei Drittel greifen bewusst zu Dupes. Wer teurer sein will, muss nachvollziehbar zeigen, wofür der Aufpreis steht – zum Beispiel für Reparierbarkeit oder faire Löhne. -
Back to Reality
Online bleibt bequem, doch fast alle Befragten bevorzugen sinnliche, soziale Store-Erlebnisse. Läden mutieren zu Third Spaces, in denen Workshops, Repair-Bars oder After-Work-Events die Kasse flankieren. -
Ethik × Convenience
Wertebewusstsein ja, aber ohne Informationsstress. Marken, die Lieferkette, CO₂-Fußabdruck und Lohnspanne auf einen Blick liefern, entlasten Kund*innen und ernten Vertrauen. -
Experiences over Objects
Das Geld fließt in Erinnerungen: Pop-up-Dinner, Mikro-Retreats, limitierte Community-Events. Erlebnis schlägt Besitz, Story schlägt Status. -
Culture Clash
Unerwartete Kollaborationen – etwa eine FinTech-App als Hauptkasse eines Festivals oder ein Baumarkt als Sponsor für Street-Art – schaffen kulturellen Mehrwert und lassen „langweilige“ Branchen leuchten.
Stimmungswechsel in Zahlen
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Ein Viertel würde eine Marke sofort meiden, unterstützte sie öffentlich eine unbeliebte Sache.
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Über die Hälfte ärgert sich mehr über sinkende Produktqualität als über steigende Preise.
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Rund 60 Prozent zahlen gern mehr für Langlebigkeit, knapp ebenso viele für bessere Verarbeitung.
Die Botschaft ist klar: Qualität, Transparenz und Sinn sind die neuen Treiber – nicht mehr allein ein niedriger Kassenbon.
Vier strategische Handlungsfelder
A – Own Up
Unternehmen müssen den Vorhang lüften. Impact-Receipts, die Fortschritte und Fehltritte gleichermaßen sichtbar machen, verwandeln potenzielle Shitstorms in Dialog.
B – Curate Community
Vom Very-Important-Customer-Abend über Repair-Ateliers bis zum Discord-Stammtisch: Wer Begegnungen orchestriert, schafft emotionale Eintrittsbarrieren für Wettbewerber und erhält qualitatives Kundenfeedback frei Haus.
C – Channel Indie Spirit
Auch Weltkonzerne können lokal handeln: Mikro-Sortimente für bestimmte Stadtviertel, Kooperationen mit Kiez-Start-ups, Preismodelle angepasst an regionale Kaufkraft. Authentizität entsteht, wenn Marken wie ein Nachbarschaftsbewohner agieren.
D – Data for Good
First-Party-Daten sind mehr als Personalisierungs-Futter. Sie dokumentieren Fortschritte bei CO₂-Reduktion, Lieferketten-Fairness und Kreislaufwirtschaft und verwandeln KPI-Charts in glaubwürdige Storys.
Chancen für deutsche Unternehmen
Deutschland bringt eine kulturelle Mischung aus Sparsamkeit und Umweltbewusstsein mit – ideale Bedingungen, um die Value Vanguard zu begeistern.
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Lebensmittelhandel kann mit CO₂-Scannern an Regalen oder Re-Fill-Corners punkten.
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Modelabels profitieren von Pre-Loved-Programmen, die Retouren in begehrte Vintage-Stücke verwandeln.
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Neobanken könnten Impact-Scores fürs Girokonto etablieren, die anzeigen, wie grün der vergangene Monat war.
Unsere Perspektive auf die neuen Shopper Trends
Für den kakoii-Geschäftsführer kristallisieren sich drei Lehren heraus:
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Storytelling braucht Substanz. Purpose ohne Proof bleibt Pose, konkrete Zahlen schlagen Pathos.
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Retail wird Bühne. Pop-up-Galerie, Repair-Café oder In-Store-Podcast-Studio – Gründe, vorbeizukommen, werden zur Währung.
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Daten dienen der Haltung. Saubere First-Party-Daten machen Nachhaltigkeits-Roadmaps transparent und ermöglichen neue Geschäftsmodelle, von Pfandabos bis Produkt-as-a-Service.
Der Anfang vom Dauerwandel
The Future Laboratory sieht den Wertewandel als irreversibel. Selbst wenn Inflationskurven flachen, bleiben Fragen nach Klimabilanz, Diversität und Gemeinwohl auf der Agenda. Die Value Vanguard wirkt als Frühwarnsystem: Sie spürt kulturelle Erschütterungen früher als die Masse und setzt neue Standards, bevor Excel-Prognosen sie abbilden. Unternehmen, die jetzt experimentieren, sichern sich nicht nur Resilienz, sondern eine soziale Lizenz zum Wachsen.
Fazit: Wert ist das neue Geld
Die Handelswelt bewegt sich von der Preisschlacht zur Wertedebatte. Marken, die glaubwürdig zeigen, wofür sie stehen, wen sie verbinden und welchen kulturellen Mehrwert sie schaffen, verwandeln flüchtige Kund*innen in Verbündete. Die Value Vanguard mag kleiner erscheinen als die Masse, doch sie fungiert als Trend-Multiplikator: Was hier Resonanz findet, skaliert morgen in den Mainstream.
Stefan Mannes bringt es auf den Punkt: „Der Handel der Zukunft ist Beziehungskunst. Wer Menschen zeigt, dass ihr Geld doppelt wirkt – für sie selbst und fürs Gemeinwohl – gewinnt eine Loyalität, die keine Dupe-App knacken kann.“
Hier geht es zu einem Artikel darüber in „The Drum“: Value-driven consumers are rewriting the rules of retail.
Gerne empfehlen wir uns in diesem Zusammenhang auch als Agentur für Markenberatung, Agentur für Verpackungsdesign und Branding Agentur.